 | Von Norbert Jonscher
Schüsse peitschen durch das Vogelschutz-Europareservat Riddagshausen. Eine eben noch "ong ... ong" schnatternde Graugans (lat.: Anser anser) stürzt ab in den Kreuzteich. Die Bezirksregierung hat die Jagd auf Graugans und Stockenten-Bastarde freigegeben. Grund: Es droht eine Überpopulation. Die massenhaft verbreiteten Vögel, sie ziehen im Winter längst nicht mehr nach Afrika, machen anderen, geschützten Arten zunehmend den Lebensraum streitig. Doch es gibt Irritationen. Etwa bei Georg Gärtner (SPD), stellvertretender Bezirksbürgermeister im nahen Volkmarode. Er meint, das Naturschutzgebiet verkomme zu einem "privilegierten Jagdgebiet"; Gärtner sieht keinen Grund, warum hier nun plötzlich gejagt werden solle, zumal es 60 Jahre auch ohne Schusswaffengebrauch gegangen sei: "Wenn da ein Fischerhund mal eine Ente fing, hats richtig Theater gegeben." Vorn gefüttert, hinten getötet Und noch ein Problem sieht Gärtner, selbst Jäger: "Wie will man im Flug eine Grau- von einer Saatgans unterscheiden, wie eine fehlfarbene Ente von einer geschützten Löffel- oder Spießente?" Zumal die Tiere frühmorgens, mithin in der Dämmerung geschossen würden. Ein weiteres Ärgernis für ihn: "Da werden vorn am Kreuzteich die Vögel gefüttert und hinten schießt man sie ab." Das sei doch nicht nur für Kinder ein Schock. Und außerdem: Sei überhaupt sichergestellt, dass nur mit Stahlschrot geschossen wird? Falls nicht, was Gärtner vermutet, bestehe die Gefahr, dass Vögel giftiges Bleischrot aufnehmen und verenden. Demgegenüber verteidigte gestern Dr. Horst Grunert, zuständiger Experte bei der Bezirksregierung, gegenüber der BZ die Jagderlaubnis (sie wurde, auf Antrag, der Kreisjägerschaft und auch den Schapener Jägern erteilt), sie werde auch von Naturschutzverbänden wie Nabu und BUND mitgetragen. Es gehe, so Grunert, vor allem darum, die große Zahl der Graugänse zu reduzieren. Was in der Praxis äußerst schwierig sei. Grunert: "Graugänse sind ganz schlaue Tiere, die riechen den Braten sehr, sehr schnell." Das sei aber nicht so schlimm, denn: Man setze auf einen Verbrämungseffekt, der die Tiere abwandern lasse. Mehr als 400 Graugänse gebe es rund um Riddagshausen, Nachfahren der Anfang der 60er-Jahre von Verhaltensforscher Dr. Konrad Lorenz ausgesetzten 5 Grauganspaare, die sich durch gute Fütterung (trotz Verbots) massenhaft vermehrten, zunehmend die heimische Saatgans verdrängten. Fette "Stadtenten" Ähnlich verhält es sich mit der Stockente, die hierzulande ebenfalls längst kein Zugvogel mehr ist, sich mit Hausenten paarte, zur übergroßen, fetten "Stadtente" mutierte. Folge: Es gibt immer weniger echte Stockenten, die meisten haben mit der Wildform nur noch einige Federzeichnungen gemein. Es kommen sogar völlig weiße und schwarze Fehlfarben (Bastarde) vor. Der Dichtestress auf hiesigen Gewässern, berichten Experten, sei auch verantwortlich für die Zunahme aggressiver Verhaltensweisen bei den Enten. Immer häufiger seien Szenen wie diese zu beobachten: Unverpaarte Erpel verjagen einen "glücklich verheirateten" Stockentenmann und vergewaltigen anschließend das Weibchen. In Rotterdam beobachtete ein Tierforscher, wie ein offenbar schwuler Erpel den Leichnam eines soeben tödlich verunglückten Artgenossen bestieg und 75 Minuten lang schändete. Er stoppte das unwürdige Treiben. In Braunschweig will nun die Kreisjägerschaft aktiv werden. Vorsitzender Hennig Brandes verspricht, es werde aber keine wilde Ballerei á la Moorhuhnschießen geben, sondern eine ganz behutsame, gezielte Bejagung, in den frühen Morgenstunden. Geschützte Arten würden nicht getötet, versichert der Jagdexperte: "Es wird nicht wild rumgeballert, es schießen nur versierte Jäger, und die sprechen jeden Vogel an, bevor sie schießen."  |